Der Körper im Ausnahmezustand: Wie die Hitze der Gesundheit zusetzt

Mit verschiedenen Mitteln kämpft der Organismus gegen Überhitzung. Ist die Wärmeeinwirkung allerdings zu gross, bricht das körpereigene Kühlsystem zusammen.

Alan Niederer
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Kommt das körpereigene Kühlsystem an seine Grenzen, hilft ein erfrischendes Bad im Fluss oder See. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Kommt das körpereigene Kühlsystem an seine Grenzen, hilft ein erfrischendes Bad im Fluss oder See. (Bild: Anthony Anex / Keystone)

Mit den anhaltend hohen Sommertemperaturen nehmen auch die Warnungen vor hitzebedingten Gesundheitsproblemen zu. Dass diese gerechtfertigt sind, zeigen die Erfahrungen mit früheren Hitzewellen. So hat der Hitzesommer 2003 – das Bundesamt für Gesundheit spricht vom heissesten Sommer der letzten 500 Jahre – allein in der Schweiz zu knapp tausend vorzeitigen Todesfällen geführt, vor allem bei älteren Personen.

Was aber passiert im Körper bei stark erhöhten Umgebungstemperaturen, wie sie derzeit in Teilen Europas herrschen? Weil die Organe mit ihren komplexen biochemischen Prozessen bei 37 Grad Celsius am besten funktionieren, setzt der Körper alles daran, die Temperatur in seinem Inneren zwischen 36 und 38 Grad zu kontrollieren. Zur Regulierung dieser Kerntemperatur verfügt der Organismus über Sensoren, die auf der Haut und im Körperinnern laufend die Temperatur messen. Die Ergebnisse werden im Gehirn mit dem Sollwert abgeglichen. Droht eine Überhitzung, ergreift das oberste Schaltzentrum für Wärmeregulation Massnahmen zur Kühlung des Körpers.

Erhöhte Hautdurchblutung und Schwitzen

Als Erstes wird das autonome Nervensystem angewiesen, die Durchblutung in der Haut zu erhöhen. Dazu werden die Blutgefässe erweitert. So lässt sich – über Strahlung, Wärmeleitung und Konvektion – rasch die Wärmeabgabe an die Umgebung steigern. Das geht aber nur so lange, wie die Umgebungstemperatur unter der Körpertemperatur liegt. Zudem geht die verstärkte Hautdurchblutung auf Kosten der Durchblutung der Organe. So fliesst bei Hitze weniger Blut durch den Darm, was zu Durchfall führen kann. Wenn auch die Skelettmuskeln weniger durchblutet werden, nimmt die körperliche Leistungsfähigkeit ab, und wir fühlen uns schneller erschöpft.

Reicht die Umverteilung der Durchblutung nicht aus, um den Körper genügend abzukühlen, wird der wirksamste Mechanismus zur Verhinderung einer Überhitzung eingeschaltet: das Schwitzen. Beim Verdunsten des Schweisses wird dem Körper Wärmeenergie entzogen, er kühlt sich also ab. Auch dieses System stösst allerdings irgendeinmal an Grenzen. So kann ein Erwachsener im Durchschnitt nur zwei Liter pro Stunde schwitzen. Bei einem trainierten Sportler oder einer an die Hitze adaptierten Person können es vier Liter sein. Die fehlende Gewöhnung oder Akklimatisierung ist ein wichtiger Grund, weshalb die erste Hitzewelle im Jahr die Bevölkerung meist besonders hart trifft.

Auch das Schwitzen ist leider nicht frei von Risiken. Denn mit dem Wasser gehen auch Salz (Natriumchlorid) und andere für die Körperfunktionen wichtige Mineralstoffe verloren. Diese Verluste müssen mit regelmässigem Trinken und der Nahrung ersetzt werden, andernfalls droht eine gefährliche Dehydrierung. Der Elektrolytmangel kann zudem schmerzhafte Muskelkrämpfe auslösen (Hitzekrampf). Auch hier haben Personen, die sich an die Wärme akklimatisiert haben, Vorteile: Ihr Schweiss enthält viel weniger Salz.

Das heisse Sommerwetter lockt die Menschen in Wien auf die Donau. (Bild: Leonhard Föger / Reuters)
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In der deutschen Hafenstadt Warnemünde an der Ostsee ist die Strandpromenade gut besucht, 23. Juli. (Bild: Annegret Hilse / Reuters)
Bereits vor einem Monat brachte eine Hitzewelle mit Temperaturen bis gegen 38 Grad die Schweiz zum Schwitzen. – Wer kann, hält sich im oder auf dem Wasser auf. In Bern ist die Aare ein beliebtes Ziel für Abkühlung. (Bild: Anthony Anex / Keystone)
Ein Mann überquert auf einer Slackline die Aare in Bern, 28. Juni. (Bild: Anthony Anex / Keystone)
Eine Frau stellt sich in Zürich gleich ganz unter einen Brunnen. Die Temperaturen betragen im ganzen Land (ausser in der Höhe) seit Tagen deutlich über 30 Grad, 28. Juni. (Bild: Walter Bieri / Keystone)
An diesem Strand in Valencia herrscht Dichtestress. Bei Temperaturen über 40 Grad Celsius scheint die ganze Stadt am Strand zu sein, 29. Juni. (Bild: Kai Foersterling / EPA)
An der Reuss in Bremgarten erfreuen sich die Surfer des warmen Wetters und geben Kostproben ihres Könnens. (Bild: Arnd Wiegmann / Reuters)
Ein japanischer Tourist posiert auf dem Nufenenpass, wo der Schnee zurzeit im Eilzugstempo dahinschmilzt. 22,5 Grad Celsius zeigt das Thermometer auf 2477 Metern Höhe, 27. Juni. (Bild: Davide Agosta / EPA)
Das Open Air St. Gallen, das vom 27. bis 30. Juni stattfindet, wird dieses Jahr eine wahre Hitzeschlacht. Ein Besucher ruht sich schon einmal am Schatten aus, 27. Juni. (Bild: Gian Ehrenzeller / EPA)
Das Zürichseeschiff «Stadt Rapperswil» ist hinter Pedalos zu sehen, die für einmal alle mit Sonnenschirm unterwegs sind, 27. Juni. (Bild: Arnd Wiegmann / Reuters)
In Bern gibt es zurzeit nichts Erfrischenderes als den Sprung ins 18 Grad kühle Aarewasser, in dem man sich minutenlang treiben lassen kann, bis der Körper so richtig abgekühlt ist, 27. Juni. (Bild: Anthony Anex / EPA)
Ob am Zürichsee, an der Aare oder wie hier am Walensee: Überall suchen die Menschen dieser Tage Erfrischung, hüpfen ins Wasser oder kühlen sich an Springbrunnen ab, 25. Juni. (Bild: Gian Ehrenzeller / Keystone)
Auch abends sorgt der Walensee im Kanton St. Gallen für Erfrischung. In der Nacht auf Dienstag war aber im Mittelland nochmals gutes Schlafen angesagt. Die Temperaturen gingen vielerorts auf 15 Grad zurück. Eine sogenannte Tropennacht gab es nur in leicht erhöhten Lagen und vor allem im St. Galler Rheintal, 25. Juni. (Bild: Gian Ehrenzeller / Keystone)
Zum Schutz gegen die stetig steigenden Temperaturen hat die Stadt Zürich auf dem Sechseläutenplatz und an anderen belebten Orten Schirme aufstellen lassen. Heute bleiben aber auch die Schattenplätze zumeist menschenleer. Zu heiss ist es auf dem steinigen Platz, 26. Juni. (Bild: Christoph Ruckstuhl / NZZ)
An den Badeplätzen rund um den Genfersee reihen sich die Menschen dicht an dicht, 25. Juni. (Bild: Laurent Darbellay / EPA)
Die Schweiz ist mit der brütenden Hitze allerdings nicht allein. Auch diese Frau versucht der Hitze zu trotzen, während sie auf die wöchentliche Audienz von Papst Franziskus auf dem Petersplatz in Rom wartet. Nachdem der Mai komplett verregnet gewesen ist, sind auch in Italien die Temperaturen rapide gestiegen, 26. Juni. (Bild: Angelo Carconi / EPA)
Die Polarbären im Zoo von Prag haben besonders Mühe mit den für sie unüblichen Temperaturen. Um ihnen eine Freude zu bereiten und um ihre Körper ein wenig abzukühlen, erhalten sie ihre Fische für einmal eingefroren, 27. Juni. (Bild: Martin Divisek / EPA)
Auch Frankreich stöhnt unter extremer Hitze. Im Süden werden Spitzenwerte von mehr als 40 Grad erwartet. Dieser jungen Frau im Parc André Citroën in Paris scheint die Hitze wenig anzuhaben, 25. Juni. (Bild. Carles Platiau / Reuters)
Paris kämpft besonders auch gegen die schlechte Luft. Dieses junge Paar lässt sich die Laune allerdings nicht verderben, 25. Juni. (Bild: Ian Langsdon / EPA)
Auch Spanien leidet derzeit unter einer für Juli ungewöhnlichen Hitzewelle. Heisse Luft aus Afrika führt zu extrem hohen Temperaturen. Im Rio-Park in der Hauptstadt kühlen sich die Menschen unter einer Sprinkler-Anlage ab, 26. Juni. Hier gibt es noch die exakte Definition einer Hitzewelle. (Bild: Manu Fernandez / AP)

Das heisse Sommerwetter lockt die Menschen in Wien auf die Donau. (Bild: Leonhard Föger / Reuters)

Zur Kühlung funktioniert das Schwitzen nur so lange, wie die relative Luftfeuchtigkeit unter 75 Prozent liegt. Bei höheren Werten kann der Schweiss auf der Haut nicht mehr verdunsten, was wir als sehr unangenehm wahrnehmen. Aus gutem Grund, denn bei schwüler Hitze droht ein Hitzestau im Körper. Für die gesundheitlichen Auswirkungen einer Hitzewelle spielt also nicht nur die Temperatur eine Rolle, sondern in hohem Masse auch die Luftfeuchtigkeit sowie die Strahlungswärme. Letzterer sind zum Beispiel Personen ausgesetzt, die an der prallen Sonne arbeiten.

Sonnenstich, Hitzekollaps oder Hitzschlag?

Hält die direkte Sonneneinstrahlung länger an, werden bei fehlendem Kopfschutz die Hirnhaut und das Hirngewebe angegriffen. Dies wird als Sonnenstich bezeichnet. Die Betroffenen leiden typischerweise unter Schwindel, Kopfschmerzen und Übelkeit bis zum Erbrechen. In schweren Fällen kann es auch zu Störungen des Bewusstseins kommen. Die Kerntemperatur ist bei dieser rein thermischen Irritation des Gehirns nicht erhöht.

Ebenfalls nicht oder nur leicht erhöht ist die Kerntemperatur bei Personen, die einen Hitzekollaps erleiden. Dieser kann als fehlgeleitete Stressreaktion des Körpers verstanden werden. Wie bei einer grossen sportlichen Leistung geht die forcierte Kühlung mit einem erhöhten Sauerstoffbedarf in den Organen einher. Um diesen zu decken, muss das Herz-Kreislauf-System mehr leisten, was sich zum Beispiel in einem beschleunigten Puls äussert.

Das Herzrasen ist aber auch eine Reaktion auf die erweiterten peripheren Blutgefässe. Denn wenn das Blut in den Gefässen «versackt», bekommt das Herz weniger Blut angeboten, um es weiterzupumpen. Zur Kompensation schlägt das Herz einfach schneller. Reduziert sich in dieser angespannten Situation – wegen der Dehydration – auch noch das Plasmavolumen, kann der Blutdruck plötzlich stark abfallen. Bei prekärer Hirndurchblutung verliert die betroffene Person kurz das Bewusstsein.

Wird die Kapazität des körpereigenen Kühlungssystems definitiv überschritten, entwickelt sich ein Hitzschlag. Dabei steigt die Kerntemperatur auf über 40 Grad an. Die akute Überhitzung des Körpers kann das Hirn gefährlich anschwellen lassen. Ohne rasche medizinische Hilfe drohen eine bleibende Schädigung des Zentralnervensystems und der Tod.

Tiefer Blutdruck als Risikofaktor

Wie das Bundesamt für Bevölkerungsschutz in einer nationalen Gefährdungsanalyse von 2015 schreibt, ist schon in den ersten vier Tagen einer Hitzewelle mit vermehrten Fällen von Kreislaufkollaps und Hitzschlag zu rechnen. Besonders gefährdet sind dabei ältere Personen und Kleinkinder. Das hängt damit zusammen, dass bei Senioren die physiologischen Mechanismen zur Körperkühlung oft eingeschränkt und bei Neugeborenen und Babys noch nicht richtig ausgebildet sind. Ebenfalls erhöht ist das Risiko bei Personen mit tiefem Blutdruck und vorbestehenden Herz-, Lungen- oder Stoffwechselproblemen. Auch wassertreibende Medikamente, Betablocker und Psychopharmaka machen anfälliger für hitzebedingte Gesundheitsstörungen.

Damit wir eine Hitzewelle gut überstehen, ist es empfehlenswert, während dieser Tage das körpereigene Kühlsystem möglichst zu schonen. Das gelingt am besten, wenn wir die Hitze meiden und uns in kühlen Räumen aufhalten, schwere körperliche Anstrengung unterlassen und den durchs Schwitzen verursachten Flüssigkeits- und Elektrolytverlust zeitnah kompensieren. In Räumen mit hoher Luftfeuchtigkeit kann es sinnvoll sein, die Fenster zu öffnen und mit einem Ventilator für etwas Luftzug zu sorgen. Immer eine gute Lösung ist es, den Körper aktiv zu kühlen, mit einer kalten Dusche oder einem erfrischenden Bad im Fluss oder See.